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Hätte
Anfang März 1938 in Österreich eine Umfrage stattgefunden, wer
zu den bedeutendsten lebenden Komponisten unseres Landes zu zählen
sei, wäre allenthalben sehr schnell der Name Egon Wellesz gefallen.
Soeben hatten die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Bruno Walter
seine Symphonische Suite "Prosperos Beschwörungen" zur
Uraufführung gebracht, weitere Aufführungen des Werkes standen
(wieder unter Walter) durch das Amsterdamer "Concertgebouw-orkest"
(wie es sich damals schrieb) bevor, und zwar am 13. (Amsterdam) und 16.
März (Rotterdam). Zwei Jahre vorher hatten die Philharmoniker (unter
Felix Weingartner) Wellesz' "symphonisches Stimmungsbild" "Vorfrühling"
in ihr Programm aufgenommen, und 1931 sowie 1932 ging seine Oper "Die
Bakchantinnen" nach Euripides sogar in der Wiener Staatsoper unter
der Leitung von Direktor Clemens Krauss über die Bühne. Schließlich
waren 1934 und 1935 im "Anbruch", der wichtigsten Zeitschrift
für den Bereich der modernen Musik, zwei große Artikel über
den Komponisten erschienen, in denen er ein geradezu überschwengliches
Lob als "Musiker, der sich der Verantwortung des schöpferischen
Künstlers in hohem Maße bewußt gewesen ist", erfahren
hatte sowie als Meister, in dessen Oeuvre "die Grundelemente der
Musik neu erlebt und neu in Zusammenhang zueinander gebracht werden: Melodie,
Harmonie und Rhythmus".
1938 erinnerte man
sich in Wien zudem noch ganz genau, daß Wellesz bis vor wenigen
Jahren auch in Deutschland einer der meistgespielten zeitgenössischen
Komponisten gewesen war - bis der allgemeine Gesinnungsterror auch der
Freiheit der Kunst endgültig ein Ende bereitet hatte. Die Oper "Alkestis"
etwa war nach ihrer Mannheimer Premiere von 1924 noch in Hannover, Bremen,
Gera, Köln, Dessau, Stuttgart, Coburg sowie Berlin über die
Bühne gegangen, der Einakter "Scherz, List und Rache" in
Stuttgart (1928), Magdeburg, Dortmund, Lübeck, Görlitz sowie
Berlin (aber auch in Salzburg, Wien und Linz), das Arnold Schönberg
gewidmete "Persische Ballett" in Donaueschingen (1924), Münster,
Mannheim, Gera, Darmstadt, Stuttgart, Saarbrücken sowie Mainz, und
auch die Ballette "Das Wunder der Diana", "Achilles auf
Skyros", "Die Nächtlichen" sowie "Die Opferung
des Gefangenen" waren 1924 bzw. 1926 in Deutschland aus der Taufe
gehoben worden. Noch 1932 hatte Hermann Abendroth in Köln die Kantate
"Mitte des Lebens" auf das Programm gesetzt, die von Wellesz
der Universität Oxford zum Dank für das soeben erhaltene Ehrendoktorat
zugeeignet worden war: "Hoc opus Universitati Oxoniensi d. d."
Ein Jahr später war in Deutschland aus dem gefeierten Komponisten
ein verfemter bzw. "entarteter" geworden.
März 1938 erlitt Egon Wellesz dieses Schicksal nun auch noch ganz
persönlich. Er kehrte von den Niederlanden wohlweislich nicht mehr
nach Österreich zurück und konnte bereits eine Woche später
eine Einladung nach London annehmen, die zunächst dem Wissenschaftler
galt und ihm schließlich eine Berufung an die Universität Oxford
eintrug. Nachdem seine Familie (Gattin Emmy, eine bedeutende Kunsthistorikerin,
sowie die Töchter Magda samt ihrem Gatten und Elisabeth) Juli 1938
"nachemigriert" war und sich Wellesz schließlich in Oxford
akklimatisiert hatte, begann er nach fünfjähriger Pause, 1943,
auch wieder zu komponieren. Dennoch: Der politisch bedingte Bruch seiner
schöpferischen Laufbahn sollte nie wieder vollständig überwunden
werden. Seine Bühnenwerke fanden auch nach 1945 kaum mehr Aufnahme
in die Spielpläne, und selbst die Instrumentalmusik war vielen Konservativen
nach wie vor zu modern; die neue Avantgarde hingegen verwarf sie als "gestrig"
und befand sie für unakzeptabel. Das führte letzten Endes so
weit, daß der Mitbegründer der "Internationalen Gesellschaft
für Neue Musik" 30 Jahre nach seiner epochalen Tat auf den Festivals
seines Schmerzenskindes nicht mehr gespielt wurde.
Der tiefe Bruch in
Wellesz' Weg als Komponist dokumentiert sich auch in der Wahl der Gattungen
und Sujets. Hatte Wellesz bis 1938 vor allem zeitlos gültige Stoffe
aus der griechischen Antike in Bühnenwerke einfließen lassen
und aus der Auseinandersetzung mit diesen Themen humanistisch-weltanschauliche
Aussagen von musiksprachlicher Schlagkraft gewonnen, so verstummte der
Theaterkomponist Egon Wellesz bald für immer (wenn man von der Oper
"Incognita" von 1951 einmal absieht). An seine Stelle trat der
Schöpfer von Symphonien sowie von Kammermusik, aber auch von Liedern
und geistlicher Musik, als wenn an die Stelle der extrovertierten Bühne
das Refugium von "absoluter" und intimer, zutiefst persönlicher
Musik treten sollte. Und dieser Wandel war zugleich eine Rückkehr
zu den Wurzeln der Wellesz'schen Musiksprache und daher zum Idiom der
österreichischen Tradition, zu welchem sich der Komponist gerade
in seiner englischen Zeit immer wieder vehement bekennen sollte.
Denn Wellesz, der
am 21. Oktober 1885 in Wien geboren wurde, stand stilistisch zunächst
noch vornehmlich unter dem Einfluß von Anton Bruckner und Gustav
Mahler, ehe er unter dem Einfluß seines Kompositionslehrers Arnold
Schönberg die Tonalität verließ und sich einer expressiv-gestischen
Tonsprache zuwandte, einer Tonsprache, die dabei nie jenen "Sprachcharakter"
aufgab, den etwa Schönberg oder Webern immer (speziell auch unter
semantischen Aspekten) in emphatischer Weise einforderten. Dabei ging
es ihm, der sich auch wissenschaftlich speziell mit dem Problem der Oper
und ihrer Aussage-Möglichkeiten beschäftigt hatte, nach eigener
Aussage vornehmlich um die "Darstellung des Gefühlhaften",
ja des "Triebhaften der Empfindung", und dies in möglichst
allgemein gültiger und allgemein verständlicher Weise. Und das
führte in seinem Falle, der er überzeugter und wissender Vertreter
der damals noch allenthalben hochgehaltenen humanistischen Bildung war,
geradezu zwangsläufig dazu, daß er Sujets aus der griechischen
Antike auf die Bühne stellte.
In dieser Beziehung "fand sich" unser Komponist unter anderem
mit Igor Strawinsky, Darius Milhaud oder Josef Matthias Hauer, und eine
weitere interessante Beziehung ergab sich zum Bühnenoeuvre von Richard
Strauss, da Wellesz wie dieser einige Sujets bzw. Libretti von Hugo von
Hofmannsthal in Musik setzte. 1911/12 hatte Wellesz mit seinen "Eklogen"
für Klavier zum ersten Mal die Welt der Antike angesprochen, 1917
ließ er das Ballett "Das Wunder der Diana" folgen, dann
beschwor er mit seinem "Persischen Ballett" von 1920 orientalische
Sphären und betrat 1921 mit dem Ballett "Achilles auf Skyros"
nach Hofmannsthal endgültig die Welt der griechischen Mythologie.
1922/23 folgte, wieder ein Libretto Hofmannsthals verarbeitend, die "Alkestis"
nach Euripides, und schließlich setzte 1929/30 die Oper "Die
Bakchantinnen" nach Euripides, deren Text der Komponist selbst eingerichtet
hat, den diesbezüglichen Schlußpunkt.
Als Wellesz in der
englischen Emigration wieder zu seinem Schaffen fand, spürte er dann,
nicht zuletzt aus naheliegenden autobiographischen Gründen, in immer
stärkerem Maße der
Ausdruckswelt der europäischen und speziell der österreichischen
Musikgeschichte nach, und auch dies in Übereinstimmung mit Synthese-Tendenzen
der internationalen "klassischen Moderne", wenn man nur wieder
an Strawinsky, Hindemith, Milhaud oder selbst an Arnold Schönberg
denkt, der ebenfalls zu den traditionellen Formen von Oper, Konzert und
Variation fand und lediglich die Symphonie aussparte.
Dieser Gattung verschrieb
sich hingegen Egon Wellesz in besonderem Maße, da ihm, der er "in
der österreichischen Musiktradition aufgewachsen" war, "die
Symphonie immer als das höchste Medium der musikalischen Aussprache
erschien", wie er angesichts seiner "Ersten" von 1945 selbst
bekannte. Er hatte sich nur viele Jahre "nicht an diese Form herangewagt,
weil ich zu ihr nicht die nötige Distanz gewonnen hatte, um etwa
Eigenes darin zu sagen, denn ich empfinde die Form der Symphonie nicht
als etwas Starres, sondern als etwas höchst lebendiges, das in jedem
neuen Werk neu aus dem Inhalt erwächst und deshalb, für mich
wenigstens, immer neuen Anreiz zur Gestaltung bietet." So wurde ihm
die "Erste" vor allem "die geistige Rückkehr zu meinen
großen Ahnen", die "Vierte" erhielt vollends den
bekennerischen Beinamen "Austriaca", und bis zu seiner "Neunten"
setzte sich Wellesz Stück für Stück mit Facetten der symphonischen
Tradition auseinander, immer zu neuen, persönlichen Antworten und
zu aufregenden Lösungen findend.
Ähnliches gilt
für den Bereich der Kammermusik ebenso wie für das Lied, für
die Kirchenmusik ebenso wie für die Chormusik, und als der Komponist
am 9. November 1974 in seinem englischen Exil starb, war den Wissenden
klar, daß einer der ganz Großen der Musik des 20. Jahrhunderts
seinen Abschied genommen hatte, was bis in seine späten Lebensjahre
hinein auch durch zahlreiche - österreichische wie internationale
- Ehrungen dokumentiert worden war. Wirklich heimisch war Egon Wellesz
jedoch nach wie vor nirgendwo, weder in Österreich noch in England,
weder auf den Opernbühnen noch auf den Konzertpodien. Die Jahre 1933
(bzw. 1938) bis 1945 waren damals noch nicht überwunden. Sie sind
es - auch im Falle von Egon Wellesz - bis heute nicht.
Hartmut Krones
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Im September 1904
inskribierte Egon Wellesz an der juridischen Fakultät der Universität
Wien. Doch sollten auch seine musikalischen Interessen nicht zu kurz kommen.
So besuchte er schon im ersten Semester neben Vorlesungen zur Rechtsgeschichte
auch die grundlegende Lehrveranstaltung von Guido Adler, nämlich
die "Übungen im musikhistorischen Institut - Erklären und
Bestimmen von Kunstwerken". Ab dem zweiten Semester wechselte Wellesz
dann ganz zur philosophischen Fakultät, wo er bis zum Abschluß
seines Studiums auch Vorlesungen zur Kunstgeschichte, Theatergeschichte,
aber auch zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte besuchte.
Bei Adler belegte
er weiterhin die Übungen im Musikhistorischen Institut sowie
Vorlesungen zur Wiener klassischen Schule, zur musikalischen Romantik
und zu Beethoven. Wellesz berichtet über das Studium: "Es gab
keinen festen Lehrplan, wenn jedoch ein Student von Professor Adler aufgenommen
war, hatte er an den Vorlesungen und Seminarübungen teilzunehmen.
Adler empfahl ihm, sich im ersten Jahr mit der musikwissenschaftlichen
Literatur vertraut zu machen und die Musik der Meister des Mittelalters
bis zur Gegenwart zu studieren. Vom zweiten Jahr an mußten sich
die Studenten genauer mit einer bestimmten Periode der Musik befassen
und sich mit dem Professor über ein Thema für die Doktordissertation
beraten, das meistens auch eine Kenntnis der historischen Hilfsfächer
wie beispielsweise Paläographie, Archivkunde, Liturgiegeschichte,
Kunstgeschichte oder Theatergeschichte erforderte ..."
Wellesz hörte
Lehrveranstaltungen über Tabulaturen bei Adolf Koczirz sowie
Mensuralnotation bei Oswald Koller, belegte den Kurs über Basso continuo
bei Erwin Luntz sowie über Paläographie bei Hans Hirsch. Neben
den musikwissenschaftlichen Lehrveranstaltungen widmete sich Wellesz seinen
verschiedenen Interessen und Fachgebieten, die später sowohl für
sein wissenschaftliches aber vor allem auch für sein kompositorisches
Schaffen von großer Bedeutung werden sollten. So besuchte er Vorlesungen
zur Geschichte der venezianischen Malererei sowie zur Kunst in Venedig,
inskribierte Lehrveranstaltungen zu Platon, Aristoteles, Hegel, Schopenhauer,
Dante, zur griechischen und römischen Literatur sowie zum attischen
Drama, aber auch zur Geschichte Österreichs.
1908 promovierte Wellesz
mit einer Arbeit über Leben und Werk des Gluck-Zeitgenossen Giuseppe
Bonno, die im folgenden Jahre in den "Sammelbänden der Internationalen
Musikgesellschaft" publiziert wurde. Im Sommer desselben Jahres heiratete
Wellesz und verbrachte im Herbst 1908 einige Wochen in Venedig, die er
- im Anschluß an seine Dissertation - zu Forschungen zur venezianischen
Oper und speziell zu Francesco Cavalli nützte. Da Adler gegen eine
Herausgabe der Oper "L'Egisto" von Cavalli im Rahmen der "Denkmäler
der Tonkunst in Österreich" war, edierte Wellesz "Costanza
e fortezza" von Johann Joseph Fux. Die venezianischen Studien mündeten
1913 in die Habilitation über "Cavalli und der Stil der venetianischen
Oper von 1640-1660". Die Frühgeschichte der Oper in Wien war
für Wellesz aber noch weiterhin von Interesse. Und als Dozent am
Institut für Musikwissenschaft konnte er sein Wissen und seine Forschungserkenntnisse
an die Studenten in Vorlesungen weitergeben.
Neben seiner Lehrtätigkeit
an der Wiener Universität unterrichtete Wellesz von 1911 bis 1915
auch als Lehrer für Musikgeschichte am Neuen Wiener Konservatorium,
hielt Vorlesungen an der Urania sowie "6 Vorträge über
Operngeschichte an der Musikhochschule Mannheim" und war 1919/20
als Musikkritiker bei der Zeitung "Der Neue Tag" tätig.
1909 veranstaltete Guido Adler anläßlich Haydns 100. Todestag
einen Kongreß der Internationalen Musikgesellschaft in Wien, bei
dem Wellesz den französischen Musikhistoriker Jules Écorcheville,
den Herausgeber der "Revue Musicale S. I. M.", kennenlernte.
1911 hielt er beim Kongreß der "Internationalen Musikgesellschaft"
in London einen Vortrag über die Aussetzung des Basso continuo in
der italienischen Oper.
Mit Ausbruch des Ersten
Weltkrieges begann sich Wellesz, der wegen einer vorangegangenen schweren
Operation für den Frontdienst untauglich war und deshalb in seiner
Stellung als Universitätsdozent belassen wurde, intensiv mit gregorianischen
Melodien zu beschäftigen. 1915 erschien der erste Aufsatz zu dieser
Thematik, 1931 wurde die Reihe "Monumenta Musicae Byzantinae"
ins Leben gerufen, 1932 das Institut für Byzantinische Musik an der
Österreichischen Nationalbibliothek gegründet. An der Universität
hielt Wellesz zahlreiche Lehrveranstaltungen zu byzantinischer Musik und
Notation.
Auch wenn nun die
byzantinische Kirchenmusik im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses
stand, äußerte sich Wellesz doch noch zu anderen Themen. So
z. B. über seinen Lehrer Arnold Schönberg, über den er
1921 die erste größere und zugleich verläßliche
Würdigung herausbrachte, oder in einem Buch über "Die neue
Instrumentation" (1928/29). 1932 war Wellesz gemeinsam mit Béla
Bartók als Delegierter beim Congrès de Musique Arabe in
Kairo. Im selben Jahr wurde ihm das Ehrendoktorat der Universität
Oxford, als erstem Musiker nach Haydn, verliehen, und er wurde zum Ehrenmitglied
der "Musical Association" in London ernannt. An der Universität
Wien wurde er 1929 außerordentlicher Professor für Musikwissenschaft.
Über Amsterdam
emigrierte Wellesz 1938 nach England, wo sich ihm zunächst Gelegenheit
zur Mitarbeit an "Grove's Dictionary of Music" bot. Dann hielt
er Vorlesungen in Cambridge und wurde schließlich am 1. Jänner
1939 zum "Fellow" am Lincoln College in Oxford ernannt, wo er
bis zu seinem Tode tätig war. Dort waren die Verhältnisse in
der musikwissenschaftlichen Lehre allerdings völlig anders als in
Österreich. Wellesz schreibt darüber: "In Oxford hingegen
gab es zur Zeit, als ich hinkam, keine musikgeschichtliche Forschung,
man lernte genau so viel Musikgeschichte, als zur Ausbildung des Musikers
nötig war ... Es spricht für die Großzügigkeit der
sich selbst verwaltenden Universität Oxford, daß mir Gelegenheit
geboten wurde, sowohl Komposition zu unterrichten wie Vorlesungen über
mein Spezialgebiet, die Musik des frühen Christentums, byzantinische
Kirchenmusik und den Gregorianischen Choral zu halten ..." Auch wenn
er 1946 die britische Staatsbürgerschaft erhielt, so setzte er sich
weiterhin für die Musik seines Heimatlandes ein, wie etwa für
die Werke Bruckners und Mahlers in Rundfunkvorträgen. Andererseits
publizierte Wellesz auch immer wieder Beiträge in der "Österreichischen
Musikzeitschrift", so etwa 1946 über "Musik in England".
Nach dem Krieg sah
das offizielle Österreich sichtlich keine Veranlassung, Wellesz in
seine vorher innegehabte Stellung als Universitätslehrer zurückzuholen.
Trotzdem kam er immer wieder zu Besuch in seine Heimat und er wurde zumindest
u. a. mit dem Preis der Stadt Wien (1953), dem Großen goldenen Ehrenzeichen
der Republik Österreich (1959), dem Großen Österreichischen
Staatspreis (1961) und schließlich mit dem Österreichischen
Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst (1971) geehrt.
Andrea Harrandt
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Fragt
man ein historisch interessiertes Publikum nach seinen Vorstellungen von
"Byzanz", so wird man, insbesondere bei spontanen Antworten, zumeist
mit Begriffen wie Orthodoxie, christliches Kaisertum (in römischer
Tradition), griechische Handschriften, Kunst der Mosaiken und Ikonen, aber
auch mit Kulturphänomenen wie dem Ikonoklasmus konfrontiert. Zeitlich
wird Byzanz in der Regel zwischen der Spätantike und der Neuzeit eingeordnet,
und räumlich assoziiert man es mit Konstantinopel.
Das allgemeine Verständnis
von "byzantinischer Musik" dürfte mit diesen Definitionsansätzen
nur teilweise in Übereinstimmung zu bringen sein, denn auch für
den Musikinteressierten verbindet sich mit der Bezeichnung "byzantinische
Musik" zunächst eine allgemeinere Vorstellung von der Kirchenmusik
der Orthodoxie, näherhin vom weihevollen liturgischen Gesang der
Kirchen des "Ostens", also vornehmlich Griechenlands, Rußlands
und der Ukraine sowie der orthodoxen Bal-kanländer, und zwar in seinen
uns vertrauten, oftmals mehrstimmigen Erscheinungsformen des 19. und 20.
Jahrhunderts.
Hier nun kommt, aus
der Sicht der Byzantinistik, Egon Wellesz eine Schlüsselrolle bezüglich
des Verständnisses der byzantinischen Musik zu: Dadurch, daß
es ihm ab 1916 (etwa gleichzeitig mit dem Engländer H. J. W. Tillyard
und doch unabhängig von diesem) schrittweise gelang, die byzantinische
Notenschrift in ihrer Entwicklung seit dem 9. Jahrhundert immer besser
zu verstehen, eröffnete er gemeinsam mit diesem Gelehrten und mit
dem Dänen Carsten HØeg den Weg zur wissenschaftlichen Erforschung
und Rekonstruktion der byzantinischen Musik. Seither sehen wir die Unterschiede
zwischen der Musik von Byzanz, zwischen dem kirchlichen und weltlichen,
im kaiserlichen Hofzeremoniell oftmals von der Orgel begleiteten Gesang
der Byzantiner, und dem heutigen, zumeist ausschließlich von der
menschlichen Stimme getragenen Kirchengesang der Orthodoxie viel klarer.
Welche Fortschritte
die byzantinische Musikologie seit damals gemacht hat, kann man an den
mustergültigen Publikationen der von den drei genannten Gelehrten
1931 in Kopenhagen gegründeten Reihe "Monumenta Musicae Byzantinae"
ablesen, aber auch - in verständlicher und knapper Form - an einem
bemerkenswerten, jüngst erstmals von Gerda Wolfram publizierten und
kommentierten Selbstzeugnis von Egon Wellesz, einem Vortrag über
"Byzantinische Musik", der sein byzantinistisches Lebenswerk
aus der Retrospektive der frühen Sechzigerjahre zusammenfaßt
und zugleich aus der heutigen Sicht schön dokumentiert, wie sehr
die moderne Erforschung der byzantinischen Musik in vieler Hinsicht auf
Wellesz beruht, wie bleibend und zukunftweisend seine Erkenntnisse sind.
Egon Wellesz war,
wie im Titel der Ausstellung zum Ausdruck kommt, sowohl Musiktheoretiker,
Musikhistoriker und Byzantinist als auch - und nicht zuletzt - Komponist.
So darf man die legitime Frage stellen, ob es zwischen der Produktivität
des Wissenschaftlers und des kreativen Künstlers Egon Wellesz Verbindungslinien
gibt, mit anderen Worten, ob er Kompositionen mit einem direkten Bezug
zu Byzanz schuf. Zwei Spätwerke (op. 100 und 101) erlauben es, im
Hinblick auf ihre inhaltliche Aussage und ihren Bezug zur orthodoxen Liturgie,
darauf eine eindeutig positive Antwort zu geben:
Das erste Werk ist
das "Festliche Präludium für Chor und Orgel über ein
byzantinisches Magnificat" (wohl nicht zufällig opus 100), komponiert
anläßlich der Eröffnung des XIII. Internationalen Byzantinistenkongresses
in Oxford am 5. September 1966. Wellesz vertonte das in alttestamentlicher
Tradition stehende Magnificat, den Jubelhymnus Mariens während ihres
Besuches bei Elisabeth - "Hoch preist meine Seele den Herrn, und
mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland" - nach dem lateinischen
Text des Lukas-Evangeliums. In griechischer Sprache ist das Magnificat
als letzter Hymnus des "Neun-Oden-Kanons" seit frühchristlicher
Zeit Bestandteil des Morgenoffiziums (Orthros) der orthodoxen Liturgie.
Als zweites ist hier
das nur ein Jahr später komponierte und thematisch nahestehende
"Mirabile Mysterium" für Soli, Chor und Orchester (opus
101) zu nennen, das in sieben Gesänge untergliedert ist. Der Komponist
hat dem Werk einen zweisprachigen Text zugrundegelegt, wobei die deutsche
Sprache dominiert und als Verständnisträger dient. Demgegenüber
sollen die griechischen Partien (Sopran und teilweise Chor) stets "von
Fern" (so die kompositorische Anweisung) erklingen und die fremdartig-feierliche
Atmosphäre unterstreichen. Wellesz griff bei diesem Text auf wörtliche
Ausschnitte aus dem weihnachtlichen "Troparium horarum" zurück,
das dem Patriarchen Sophronios von Jerusalem († 638) zugeschrieben
wird und (in leicht modifizierter Form) unter dem 24. Dezember in das
orthodoxe liturgische Buch der Menäen Aufnahme fand.
Über die Entstehungszeit
hinaus verbindet die beiden Chorwerke die thematische Zusammengehörigkeit
im Mysterium der Menschwerdung Gottes, ein zentrales theologisches Thema,
mit dem sich Wellesz als Byzantinist und Musikologe lange Zeit auseinandergesetzt
hat, wie etwa der Titel eines wichtigen Artikels von ihm bezeugt ("The
Nativity Drama of the Byzantine Church"), der 1947 gedruckt wurde.
Wellesz's byzantinische Interessen sind also nicht nur als isoliertes
Kuriosum oder als Extravaganz eines vielseitig Begabten zu betrachten,
sie stehen vielmehr in engem Zusammenhang mit den kompositorischen und
musiktheoretischen Facetten seines Schaffens und sind von der Gesamtpersönlichkeit
Egon Wellesz nicht zu trennen.
Johannes Koder
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